Vincent van Gogh – Brief an seinen Bruder Theodore

Quelle  – Aus dem Buch – Künstlerbriefe aus dem 19.Jahrhundert-Bruno Cassierer Berlin 1913

Vincent van Gogh, schreibt an seinen Bruder-IM006

Du wirst gewiss sagen, das es nichts hilft an die Zukunft zu denken, aber mit der Malerei gehts langsam vorwärts, und damit muß man bei Zeiten rechnen. Ebenso wenig wie mir wäre damit geholfen, wenn wir ein paar Bilder verkaufen könnten.IM647

Um ruhig arbeiten zu können, müsste man soviel als möglich sein Leben regeln und eine einigermaßen feste Grundlage haben, um seine Existenz zu sichern.Wenn er und ich lange hier bleiben, werden wir persönlichere Bilder schaffen, gerade weil wir dann die Natur dieses Landes gründlicher studiert haben werden. Ich kann mir nur schwer einen anderen Kurs vorstellen-da man nun mal mit dem Süden angefangen hat, sollte man sich nicht mehr vom Fleck rühren und sich immer mehr vertiefen.

Ich glaube eher bei größeren Sachen die Möglichkeit zu haben, etwas Gutes zu machen, als wenn mich gar zu ängstlich an kleines Format halte. Daher will ich auch jetzt größere Leinwände  nehmen  und kühn Leinwand Nr. 30 quadratisch benutzen.

Mein letztes Bild schlägt absolut alles Übrige, nur ein Stillleben mit Kaffeekannen, Tassen und Tellern in Blau und Gelb hält sich daneben. Das liegt wohl an der Zeichnung.

Unwillkürlich muss ich jetzt immer an Cezanne denken, weil er, z.B. in der Ernte, die wir bei Portier sahen, gerade die herbe Seite der Provence wiedergegeben hat. In allen sind jetzt Töne von Altgold-Bronce und Kupfer, könnte man sagen – das dies mit dem Grünblau des Himmels, das sich bis zum Weiß glühend abtönt, gibt eine entzückende, außerordentliche harmonische Farbenstimmung, mit gebrochenen Tönen, wie bei Delacroir.IM65

Wenn ich daran denke, wie Portier erzählte, daß seine Cezannes, wenn man sie für sich betrachte, nach gar nichts aussahen, daß aber jedes Bild, daneben gehalten, schwarz erschien – und das auch die Cezannes ganz goldig wirkten, was eine sehr gesteigerte Farbe voraussetzt – dann meine ich, daß ich auf der rechten  Fährte bin und daß mein Auge sich der hiesigen Natur anpasst. Mein letztes Bild verträgt die Nachbarschaft von roten Ziegeln, mit denen das Atelier gepflastert ist.Wenn ich es auf die Erde stelle, so daß ich es gegen den Hintergrund des sehr starken Ziegelrots sehe, so verlieren die Farben nicht Ihre Kraft und werden auch nicht weißlich.-

Die Natur in der Umgebung von Air, wo Cezanne arbeitet, ist eigentlich genau dieselbe wie hier.Und wenn ich mit meinem Bild nach Haus komme und mir sage-Na, da haben wir ja genau die Töne von Vater Cezanne getroffen, will ich damit folgendes sagen – da Cezanne wie Zola, ganz der Sohn dieses Landes ist, so ist es ihm so vertraut, das man innerlich dem selben Weg gehen muß, um zu seinen Tönen zu gelangen. Doch versteht es sich von selbst, daß nebeneinander gesehen, die Bilder sich halten können, aber nicht ähnlich zu sein brauchen.-

Wer weiß? Schließlich werde ich vielleicht  am Ende meiner Laufbahn sehen, das ich Unrecht hatte.

Wie dem auch sei-ich werde dann eben erkennen, daß nicht nur die Kunst, sondern auch alles Andere ein Wahn ist und man selbst-ein Nichts. Nun um so besser für uns – wenn wir hier auf Erden so wenig Gewicht haben, dann steht der Möglichkeit einer späteren Existenz nicht im Wege.Woher kommt es, daß bei dem Tode unseres Onkels, an den ich eben denke,sein Gesicht ruhig, heiter und doch ernst war, da es doch im Leben nie so aussah, weder in der Jugend noch im Alter? Vincent von Gogh schreibt weiter,

Schon oft habe ich die Wirkung des Todes beobachtet, wenn ich einen Verstorbenen ansah, wie um ihn danach zu fragen.Und das ist für mich ein Beweis-wenn auch vielleicht kein starker – das es noch eine Existenz gibt nach dem Tode.

Das Kind in der Wiege, wenn man es sich ebenso eindringlich ansieht, hat die Unendlichkeit in den Augen. Schließlich weiß ich ja nicht davon. Aber gerade dieses Gefühl des Nichtwissens läßt das wirkliche Leben, das wir hier leben wie eine Fahrt in der Eisenbahn  erscheinen – man bewegt sich schnell vorwärts, keinen Gegenstand draußen können wir deutlich erfassen, und vor allen Dingen, wir sehen  nicht die Lokomotive…..das Weiterleben des Künstlers durch sein Werk! Wie wenig halte ich davon. Ein Künstler macht den Anderen Platz, indem er die Fackel weiter gibt. Delacroir  dem Impressionisten und so fort. Aber was sollten Alle sein? –

Ich nehme schon lieber die Dinge wie sie sind, ohne etwas daran zu ändern, als sie halb zu verbessern. Die große revolutionäre Idee – Die Kunst gehört den Künstler – ist vielleicht ein Hirngespinst, tut nichts.

Ich meine das das Leben recht kurz ist und schnell verfliegt. Ist man Maler, nun , soll man eben malen.

An den Tagen an den ich eine Studie nach Haus bringe, sage ich mir, wenn es alle Tage so ginge, könnte man vorwärts kommen.

Aber wenn man unverrichteter Sache zurückkommt, und dann doch schläft und ißt und Geld ausgibt, ist man unzufrieden mit sich und fühlt sich als einen Narren, einen Schurken, einen Faulpelz.-

Lucie Pellegrin ist sehr schön und recht nach dem Leben. Ausserdem bleibt das Buch durchweg geschmackvoll und rührend, denn es behandelt eben das rein Menschliche.Warum sollte es verboten sein solche Sujets zu wählen?………………

Zum Schluss schreibt er weiter-

Warum bin ich so wenig Künstler, daß ich immer bedauere, daß die Statue und das Bild nicht leben.

Warum verstehe ich die Daseins Berechtigung  der Musik und Ihrer Abstraktionen besser. Bei erster Gelegenheit schicke ich dir eine Reproduktion  nach einer Zeichnung von Rowlandson, die zwei Frauen darstellt, schön wie Fragonard oder Goya.

Quelle –  aus dem Buch von Bruno Cassiers Berlin 1913-Verlag Bruno Cassiers 1914

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