Archiv für den Monat: Februar 2016
Der Uhrmacher und sein anderer Weg zum Dorf
Der Uhrmacher schreibt in sein Tagebuch Juni 1943,
Mein gewohnter Weg zum Dorf wurde gesperrt.
Ein von mir noch nie benutzter – unbekannter Pfad,wird nun zu meinen neuem Weg und die einzige Möglichkeit meine lieben Geschäftspartner auf dem Lande zu erreichen.
Am ersten Tag fuhr ich mit meinem Handwagen an einen kleinen Haus mit weißer Wand und roten Dach vorbei, dessen Grenze zum Wald ein kleiner Bach mit glasklarem Wasser war. Kleine Felsensteine glänzten im Bachlauf, ohne den Fluss zuhindern. Das im Garten hochgewachsene Gras schien unbeugsam, wohl auch an stürmischen Tagen. Je nach Tageszeit veränderte die Sonne die Farbe des saftigen Grün der verschiedenen Gräserarten. Die vielen Blütenfarben gaben den wild gewachsenen Blumenmeer ein Teppichmuster. An heißen Sommertagen besuchten die Bienen und Libellen die prächtigen Blüten und am Abend die Grillen. Der kleine Bach wirkte am Abend still, als wolle er das Abendkonzert nicht stören. Das kleine weiße Haus schien durch seinen Blütenteppich unnahbar, ja unerreichbar. Es gab keinen Weg frei. Das spitze rote Dach ragte versöhnlich in den Himmel. Die weißen Mauern und die winzigen Fenster verschwanden im Blütenmeer. Der Rest eines Zaunes, dessen blaue Farbe als Befestigung schien, ragte quer aus der Erde. Er war eingewebt von Spinnennetzen die im Morgentau auf Sonnenstrahlen trafen und den Zaun wie eine frische Perlenschnur verzierten. Auch war er Rastplatz für satte Vögel. An heißen Tagen duftete die Pflanzenwelt nach süßen Rosenduft, gepaart mit Fenchel und Minze, nach Weihrauch und auch allerlei anderer Gräser und Kräuter.Unkraut gab es nicht, hier hatte jede Pflanze ihren Platz.
Werners Vater schreibt in seinen Tagebuch, der Weg zu meinem kleinen Haus, wurde – mein – Weg zum Dorf. Eigentlich schien das Häuschen unbewohnt. Alles war unberührt. Einen festen Pfad zum Eingang gab es wirklich nicht. Hier lebte auch die Winde. Ihre kräftig weißen Blüten zieren ein rostiges Gitter. Der Wein wuchs und rankte wild, die reifen Trauben locken im Herbst zum probieren. Egal welche Jahreszeit, egal welche Pflanzenform neu geboren wurde, ich hatte den Eindruck, die Natur zeigt sich hier ohne das eine Menschenhand eingreift und doch hat eine Hand dieses Paradies geschaffen. Wohl entweihe ich es mit meinen unerlaubten Eintritt.
Der kleine Hof war mit silberblanken Bachsteinen belegt, die Fehlstellen mit tiefgrünen Moos aufgefüllt.
Eine Holztafel eingewachsen mit Moos, aufgestellt wie eine Grabtafel, mit schwer erkennbarer Schrift,
-ICH FAND DEIN HAUS IM ALTEM LAND-
-GEBORSTEN DACH AUF WEIßER WAND-
-DER WEINSTOCK DARBT IM KARKEN SAND-
-DEIN HERZ IST HIER DOCH FERN DIE HAND-
Der Uhrmacher schreibt in sein Tagebuch,
hinter der Holztafel stand ein Nadelbaum mit zwei Stämmen – stolz gewachsen, der rechte Stamm ragt stark in die Höhe und symbolisiert Kraft und Willen, Unbeugsamkeit. Sein anderer Teil rückt nach links leicht aus- als wolle er Abstand, zeigt aber keinerlei Schwäche, er nimmt nur seine eigene Richtung um weiter zu wachsen ohne den anderen zu behindern. Mit einer gemeinsamen Wurzeln stecken sie prächtig gesund in der Erde, ihr Stamm zeigt Gesundheit und ein 50 jähriges Leben. Seine Wurzel ziehen die Nässe aus den Boden und hält das kleine weiße Haus trocken. Auch gibt er den nötigen Schatten an besonders heißen Tagen. Seine Früchte duften und locken die Waldbewohner zur Mahlzeit an – an bestimmter Jahreszeit.
Nie würde ein anständiger Mensch es wagen diese beiden zu trennen, oder zu fällen. Gott beschütze sie vor den bevorstehenden kalten Winter und vor der Gier des erbärmlichen kleingewachsenen Lumpen mit der eisernen Axt und dessen dummen Gehilfen.Wir müssen diese Menschencharakteren ertragen.
Nitzsche schreibt – Wer mit sich unzufrieden ist, ist fortwährend bereit, sich dafür zu rächen, wir Anderen werden seine Opfer sein, und sei es auch nur darin, dass wir immer seinen hässlichen Anblick zu ertragen haben. Denn der Anblick des Hässlichen macht schlecht und düster.
Der Uhrmacher schreibt in seinen Tagebuch,
wenn Menschen die Natur nicht achten, wild zerstören und nur eigennützig Ihren jämmerlichen Interessen folgen, werden sie eines Tages hart bestraft. Die Natur wird sich wehren. Millionen Energien in allen Formen, jedes kleinste Teilchen hat seine Aufgabe, nichts geht verloren. Um die Strafe deren, die versuchen das Ganze durch ungesunden Eigennutz und Gier zu stören, braucht man sich keine Sorgen machen. Auch hier hat die Natur ihren Plan.
heute stand ich wieder am Tor, bei dem Versuch es zu öffnen, fühlte ich mich als Eindringling. Ich wagte es nicht. Eine kleine kunstvoll geformte blaue Bank war mit Wein eingewachsen und diente auch als Standhilfe der Sonnenblumen. Die Feuerbohne gab den lindgrünen Weinblatt die rote Farbe. Hohe Ziergräser versteckten die Tür. Rechts befand sich ein Steinbrunnen mit Wasserpumpe. Ihr kunstvoll geformter Griff verriet eine Meisterarbeit. Alles leuchtete in allen Farben die man kennt, sie strahlten zusammen,
sollte nur ein Teil berührt werden, ja fehlen, bricht das Ganze zusammen. Ich wagte es nicht, es zu betreten. Der Uhrmacher mochte weder vor noch zurückgehen. Jegliche Bewegung würde dieses Paradies zerstören. Er schreibt,
die Stille, die Farben und der Duft der Pflanzen betäubten mich.
Ich weiß nicht wie lange ich blieb, der Abend schickte mich nach Hause.
Das schlagen der Wanduhren im Reparatur Zimmer, glich Paukenschlägen, zeigten aber auch ihre erfolgreiche Reparatur an.
Der Uhrmacher, Werners Vater schreibt, ich freute mich auf den nächsten Landgang und auf mein weißes Haus. Ich kenne kein schöneren Weg.
Der Herbst färbte das Ganze in goldene Farben.
Tausend verschiedene Gelb Nuancen ließen ein dunkelbraun leuchten und die letzten roten Sonnenstrahlen am Abend verkupferten das Ganze in Gold schimmernde Flächen. Die tiefblauen Nadelhölzer gaben eine ungeahnte Tiefe. Der Uhrmacher schreibt, alles erinnerte mich an – mit der Hand gehämmerten Goldbroschen, deren Lichtreflexe eine strahlende Brillanz hervorbrachten, geschlagen ins Metall geschaffen für Menschen durch Menschenhand. Jedes Schmuckstück hatte seine eigene Brillanz, nie konnte ich vorher sagen – Welche. Das Ergebnis war mein Lohn. Immer wieder wurde ich mit der Vorfreude auf mein fertiggestelltes Schmuckstück vorangetrieben, bis ich das Geschaffene bestaunte. Jedes Stück war anders, jedes Stück zeigte sich im Licht auf seine Weise vollkommen und unnachahmbar. So entstanden meine Einzelstücke. Geschaffen von meiner Hand.
Der Winter zeigte sich mit ersten Herbststürmen, hielt mich aber nicht auf, die Landleute mit meinen Mechanischen Kostbarkeiten und meinen Schmuck zu beliefern.
Der Weg im Winter war sehr beschwerlich, ich könnte auch wieder meinen alten bekannten Weg nehmen.
Doch ich nahm meinen neuen Weg zum Haus. Immer wieder musste ich mir den Weg freimachen, doch die Freude auf mein kleines weißes Haus schob den Schnee schnell weg und endlich stand ich davor.
Es war erstaunlich gut zu sehen, das verblühte Pflanzen Meer war mit Puderzucker überstreut, kleine Eis-Kristalle brillierten im Sonnenschein und zeigten die Kälte an.
Der tiefblaue Himmel war der Garant auf den nächsten Eistag. Die Luft war klar und sauber.
Der dahinterliegende Wald zeigte sich tiefschwarz und schneeweiss.
Herabbeugende Äste waren mit Eistropfen verziert. Sonnenstrahlen malten kleine Sonnenbogen auf vereiste Wassertropfen und erinnerten mich an die schönsten klaren Bergkristalle. Diese in Metall zu fassen ohne dabei ihre Klarheit und Form, ja ihre Verbindung zur Natur zu verlieren ist eine Kunst, die nur wenige Meister beherrschen. Ich wagte es nicht. Ich hätte es nicht gekonnt.
Der Bach wirkte tief und dunkel, wurde aber durch den blauen Himmel an manchen Stellen heller gefärbt. Einige Bachsteine schienen mit Eis überzogen, andere wirkten gepudert.
In seinen Tagebuch schreibt er,
mein Wunsch für immer hier zu wohnen, gab mir keinen freien
Gedanken an andere Dinge frei. Obwohl der Wunsch eher eine unbändige Neugier war,
– wenn ich es nur einmal betreten könnte.
Ich wagte es nicht.
Januar 1944, der Krieg ließ unsere kleine Stadt nicht aus.
Amerikanische Soldaten besetzten unsere Stadt.
Für die Kinder bedeutete dies Kaugummi und Schokolade, für die Erwachsenen – Unbekannte.
In unserer Uhrmacherstube zogen US Soldaten ein.
Der Küchenherd wurde sofort beschlagnahmt, ab jetzt wurde er für hungrige Soldaten angefeuert und gekocht. Dies hatte für die Besitzer der Wohnung einen großen Vorteil, den sie wurden gut mit Lebensmitteln versorgt, die auch für sie als Tauschobjekte für andere Begehrlichkeiten dienten.
Eine warme Stube gab es obendrauf. Oft waren es freundliche Soldaten, wenn sie lachten blitzten Ihre Zähne ähnlich wie weiße Porzellantassen. Dabei spielte die Hautfarbe eine entscheidende Rolle. Auch waren sie eigentlich friedlich. Aber, wenn sie sich schlafen legten zogen sie die Stiefel nicht aus. Die Stiefelsohlenabdrücke blieben an der Wand als Andenken.
Als Entschädigung hatten wir einen ansehnlichen Vorrat im Keller, das neue Sicherheitsschloss schützte uns vor den anderen hungrigen Mäulern.
Der Uhrmacher schreibt in sein Tagebuch,
Enteignung,
vor dem Haus wurde eine lange Bank aufgestellt, hier wurden viele Sachen rausgelegt die sich in der Wohnung oder im Haus befanden. Es wurde einfach beschlagnahmt. Nun waren es Dinge für die Allgemeinheit.
Hier konnten sich jeder, besonders zur Freude der Bedürftigen bedienen. Dabei stellte sich heraus, das auch so manch Bedürftiger, zum erstaunen der immer helfenden Nachbarschaft, einen vollgefüllten Schrank mit Schokoladen-Zigaretten und andere Luxus besaß. Seine Hamsterlust kam nun den Neubedürftigen zur Hilfe. So schließt sich der Kreis.
Werners Vater, der Uhrmacher schreibt,
meine Uhrmacher Drehbank holte ich mir bei Martin Fritz zurück, er konnte nichts mit ihr anfangen, zum Glück.
Die Bettwäsche mit dem Monogramm meiner Mutter, wurde in der Nachbarschaft auf der Wäscheleine wieder entdeckt.
Die Naumansche Nähmaschine meiner Frau wurde von Frau Vogel aus der Kirchgasse in Ordnung gehalten. Es gab immer ein Problem, wenn die eigentlichen Besitzer ihr Eigentum nach Abzug der US Truppen wieder zurückholten oder tauschten.
Fast jeder vermisste etwas, eigentlich ging nichts verloren, doch wirklich wertvolles war für immer verschwunden.
Es war Winter 1944, wer glaubt in dieser schlimmen Kriegszeit einen gut gedeckten Frühstückstisch zu bekommen, der hatte wenigstens den Vorzug – einen aus gerösteten frisch gemahlenen Gerstenkörnern kalten Kaffee zu bekommen.Die gemütliche Uhrmacher Küche schützte vor Kälte im Winter, genauso wie vor Wärme im Sommer.So kam es vor, das so mancher Reparaturauftrag in der Küche erledigt wurde.