Werner schreibt in seinen Tagebuch,
Freitag vormittags,der kleine Kirchweg am Kirchturm war besiedelt mit spielenden Kindern. Die Gasse mit Ihren Häusern lassen der Sonne wenig Platz.
Ob lachen,singen, schreien, weinen, die Gasse war mit Leben gefüllt.
Die Füsse der Kinder waren schmutzig und das Wort Schuhe kannten sie nur vom Sonntags-Kirchgang. Doch das Glück passende Schuhe zu besitzen wurde nur denjenigen zugesprochen, die einen großen Bruder mit schnell wachsenden Füßen hatten.
Die anderen mussten ohne Schuhwerk an Sommertagen auf heißen Pflastersteinen gehen, welche sich bei Platzregen zu wunderbaren Rutschbahnen verwandelten und die Füße reinigte, was die Kinder sicher nicht störte.
Kreide, Springseil, Ball , Puppenwagen – gaben der Gasse den Spielplatz Charakter.
Die weit geöffneten Fenster verbreiteten einen gemischten Duft von Essen, das klirren des Geschirrs läutet die Mittagszeit ein. Oft war Pauls Mutter die erste die zu Tisch rief. Ein lautes ausgepustetes PAAAAAUUUL, war das Signal zum Mittagstisch, für andere Mütter Gleiches zu tun. Nach dem klappern der Teller und Töpfe war die Gasse zur Mittagsruhe bereit. Der Duft nach Essen, gepaart mit süßer Ruhe, gab Ihr einen völlig anderen Charakter. Am Nachmittag war das Leben zurück, keiner der Bewohner mochte es missen.
Am Sonntag – Vormittag wurde die Gasse zum Pfad für Kirchgänger. Fein Gekleidete, egal welcher Stand – Arbeiter oder Händler aller Gewerke, jeder zeigte sich im besten Licht. Es wurde freundlich gegrüßt, genickt,Herren in feinen Rock mit edlen Stock, Kneifer und Zylinder, Damen in feinem Kleid mit Hut. Die Sitzplätze im Kirchraum zeigten zum Teil den Gesellschaftlichen Stand oder die Höhe der Spenden und Zuwendungen für die Allgemeinheit, der jeweiligen Geber. Nach den Gottesdienst wurde einiges besprochen, eingeladen, nachgefragt, angesagt, danach ging der Pfarrer ins Pfarrhaus zurück und die Kirchgänger schwärmten wieder nach Hause. Hier endet der erste Eintrag 22.4.1936.
Werners Vater war Uhrmacher, wer denkt das Uhrmacher damals schnell reich wurden? Nein.
Sie waren angesehen und fleißig, wie alle arbeitenden Leute in der Stadt. Jeder gab seinen Teil dazu.
Das kleine Uhrmacher Geschäft hatte ein kleines tief eingebautes Fenster. Das Fenster bot einen Blick in die Welt der Technik und Moderne. Ein Uhrmacher war immer ein sehr kluger Mann, welcher oft in anderen Städten und Ländern studierte. Er war ein Mann von Welt, das kleine Fenster lockte zum reinschauen, wenn man Glück hatte konnte man den Meister zusehen,ohne das man ihn störte.
Werner half seinen Eltern beim reparieren von Kneifern und Brillen.Der Vater bestellte Ersatzteile per Brief-Post, in der ganzen Welt.
Geliefert wurde mit Eisenbahn oder Kraftpost. Die Lieferung brauchte unabhängig von ihrer Entfernung, immer eine Ewigkeit.
Die Bügel der Brillen, welche oft brachen, waren Werners schönste Arbeit. Auch das anbringen von neuen Uhrenarmbändern war eine leichte Arbeit, die der junge Mann gern erledigte. Oft saß die ganze Familie bis Abends am Küchentisch,
es wurde repariert und auch hergestellt.Die Wecker bekamen schöne modische Gehäuse, die Brillen neue Gläser oder Bügel.
Der Schmuck der Damen wurde repariert, gelötet, poliert aber auch zum Kauf und Verkauf angeboten.
Donnerstag war für Werner ein besonderer Tag. Er durfte an diesen Tag beim Schlachter frischen Leberkäse holen. Die freundliche Verkäuferin lockte Werner mit einer Scheibe Jagdwurst und verpasste die Gelegenheit nicht, ihre Wirtschafts – Waage überprüfen zu lassen. Der bunt geflieste Fleischer Laden zeigte sich in himmlichen Farben, es roch nach frischen Leberkäse, der sich dampfend präsentierte.
Ein Festtag für die ganze Familie und Mutters Küche blieb an diesen Tag geschlossen. Dafür half sie beim Wecker reparieren.
Sobald ein Besucher die große Türklinke des Ladens betätigte,klingelte die Türglocke in schönsten Tönen und die Herrschaften fühlten sich sofort willkommen. Für Werners Mutter das Signal,ihre Arbeit am Tisch zu beenden um schnell herbei zu eilen.
Werners Vater fuhr Samstag, bepackt mit schönen Weckern, mit reparierten Brillen, auch mit neusten Modellen aufs Land. Er fuhr von Hof zu Hof. Der große Räderwagen war voller technischer Köstlichkeiten. Manchmal nahm er auch die reparierten Stiefel aus einer Bestellung,oder
den gefertigten Rock vom Schneider Bartschies mit. Für die Landleute eine echte Abwechslung von der täglich harten Arbeit.
Im Spätherbst wurde der Haus – Wein verkostet. Bei dem Mann von Welt, legten die Bauern sehr viel Wert auf sein Urteil. So kam es vor, das nach reichlicher Verkostung, der Uhrmacher mit der Pferdekutsche nach Hause gebracht wurde.
Die Bauern bezahlten oft mit Naturalien.Die einen weil sie nicht bezahlen konnten, die anderen sahen im Tauschgeschäft einen willkommenen Absatz Ihrer Ernte. So fuhr er beladen mit Wurst, Eiern, Milch, Wein und Kartoffeln und neuen Reparatur Aufträgen, gleich welcher Art wieder nach Hause.Vom Berg aus konnte er die Bauernhäuser gut einsehen.Sie schimmerten in der Sonne wie kleine weiße Steine, gefasst je nach Jahreszeit in smaragdgrün oder goldgelb, ob Raps oder Korn. Der saphirblaue Himmel verstärkt die bunte Welt. Blumen in tausend Farben gewachsen und von der Natur hinaus gepustet. Sie geben dem Ganzen den Wunsch nach Unvergänglichkeit. Ein Grund für den Uhrmacher, den Augenblick in selbst gefertigten Schmuckstücken als Naturerlebnis festzuhalten. Immer wieder findet er in der Natur seine Liebe und die Kraft zur Schmuckherstellung.
Er schreibt in seinem rotbraunem Tagebuch, das Leben hat auch schwierige Seiten, welche sich mit diesen Erlebnissen leichter tragen lässt.
Er schließt sein Buch und fährt weiter,
dabei denkt er an seine Bestellungen-Aufträge-Reparaturen von vielen Uhren.
Eine Notiz-Abrechnung von Werners Vater.
Landgang
Verkauft: 3 Wecker mit Schlag auf Glocke. – 1 RM
1 Kneifer – 1 kleinen Schinken
2 Küchenuhren – Wanduhr – Mehl – Kartoffeln – Eier-Butter
1 Brille Nickel Mod.14 – 40 Pf.
4 Ohrringe Kinder – Milch,Brot,Äpfel,70 Pf.
2 Ohren stechen(für Ohrringe) – Brot.
2 Gläser für Kneifer – 1 Flasche Beerenwein.
Aufträge
1 Stiefel beschlagen – Bauer Veit – Für Schuster Hahn
2 Futter Tröge Ton – Bauer Bergmann – Töpferei J.Mix
1 Kiste Wein – Stadtkeller
Werners Vater schreibt, das Wetter war diese Woche sehr schlecht. Der Regen machte es mir fast unmöglich die Uhren sicher und trocken zu transportieren. Die Strasse war aufgeweicht, die nasse Erde stoppte die Räder. Morgen werde ich mit dem Rucksack gehen. Im Winter nehme ich den Schlitten. Er mochte keine Fahrt auslassen, den nur mit Zuverlässigkeit erreicht er seine Kunden und macht es für sie, einfacher – zu planen.
Der Weg mit der Ware wird immer schwerer und ich bin am überlegen ob ich mir ein Motorrad kaufe.
Der Traum und seine Erfüllung dauerte noch einige Jahre, bis dahin wurde mit dem Handwagen gefahren und gespart. Die große Spar- Blechdose, auf den Reparatur Tisch half ihn dabei.
Ein tolles BMW – Motorrad – gebraucht, aber wie Neu. Viele hundert Wecker und Brillen
mussten repariert oder verkauft werden, bis der Tag kam, an dem Werners Vater seinen Traum erfüllen konnte.
Die Maschine eine 750 BMW glänzte in der Sonne wie ein großer schwarzer Käfer auf Rädern. Sie war enorm groß und sehr schwer. Der schmächtige Uhrmacher mit weitem Mantel und Motorradbrille hatte Mühe das Motorrad in Gang zu setzen, um nach Hause zu fahren.
Alle Bewohner der Gasse waren auf das Motor – Ereignis vorbereitet, die Fensterplätze waren belegt, der Rand der Gasse vergeben. Alle Straßenkinder freuten sich auf das Ereignis. Außer Werners Mutter, sie schämte sich etwas. War doch die Uhrmacher Frau eine bescheidene und sparsame Dame, welche ihren angesparten Wohlstand nicht gern zeigte.
Ein kräftiges brummen und knattern durchdrang die enge Gasse. Die Stille verstärkte den Klang des Motors.Es hämmerte als wären hundert Motorräder unterwegs, schrecklich laut und der Ruf von Paauuuuls Mutter hörte heute niemand. Der vertraute Duft von Essen war gemischt mit den Geruch nach Benzin, das klirren der Teller nicht mehr zu hören. Eine plötzliche Fehlzündung glich einen Kanonendonner, die Kinder waren starr vor Schreck und versteckten sich hinter den Zaun.Wie eine Fledermaus zog der Uhrmacher mit seiner BMW durch die fast so breite enge Gasse, bis er vor der Ladentür zum stehen kam.
Die Kinder erholten sich schnell von dem Schreck und freuten sich über das ruhende neue Klettergerüst, welches sie sofort belagerten. Die Sattel dienten als Reitsattel, der Lenker als Kletterstange, die Lampe und Schutzbleche als Sitz oder Rutsche. Die Seiten-Gepäckträger für das Gepäck dienten den Kindern als Kletterhilfe. Die Kleineren leckten an den Reifen, welche sie mit Lakritz verwechselten. Die Größeren versuchten mit den Fingernagel das schöne bunte BMW Schild abzuheben. Mit schmutzigen Fingern und Spucke malten sie Figuren auf den polierten Lack. Immer wieder versuchten sie die Nadel aus dem Tacho zu fischen oder sie zu bewegen. Es war ein klopfen, schmieren, reiten, klettern, rutschen. Die Eltern der Kinder hatten ihre Ruhe und sorgten sich nicht. Mit sehr ernster Miene und gehobenen Zeigefinger mahnte der gutmütige schmächtige Uhrmacher die aufgeregten Kinder und sprach ein strenges Verbot aus. Erschöpft ging er ins Haus, legte seinen Motorradschlüssel auf den Tisch und dachte nach. Die Kinder schwirrten wieder aus und hofften auf den nächsten freien Moment. Ein kleiner Überdachter Gartenteil, diente als Unterkunft für das Motorrad und rettete es vor der Zerlegung.Werners Vater fand eine Lösung. Ein kleines Kinderfahrrad, um das sich alle kümmerten. Es diente für alle Kinder und wurde ein begehrtes Streitobjekt. Der Spender, Werners Vater der Uhrmacher,
der einige Wecker dafür eintauschte, bekam endlich seine Ruhe.
Die Fahranfänger bekamen noch 2 Räder anmontiert.So wurde aus dem Fahrrad ein Dreirad.
Es war ein ständiges an und abschrauben, was dem Fahrrad nicht weiter schadete. Jeder durfte einmal fahren. Der tägliche Kampf um das begehrte Fahrrad, das für alle Altersklassen diente, schulte die Kinder fürs Leben. Die einen zeigten sich sozial, ließen die Kleinen fahren, halfen beim lernen, die anderen reparierten,prüften und schützen vor den Herrschenden.
So wurden die Tage immer kürzer, der Sommer schenkte die letzte Wärme, bis der Herbst alle Erinnerung vergoldet. Der Winter schickte den ersten Frost und die Gasse wurde zur Rutschbahn. Zum Leid der Kundschaft und der Kirchgänger, zum Glück der Kinder, welche sich immer wieder unerbittlich gegen jede Sandschaufel durchsetzten.
Nun war die Zeit gekommen in der die Tage viel kürzer wurden, der Frost hielt Einzug und das Motorrad musste Winterfest gemacht werden.
Winter 1937.
Die tief verschneiten Wege, die unberechenbaren Straßen, sowie die kurze Fahrpraxis des Uhrmachers mahnten ihm, vorsichtig zu sein, was er auch tat. Er nahm den Winter an, holte den Schlitten raus, packte ihn wie jedes Jahr, auch mit mechanischen Köstlichkeiten. Die Freude auf seine Kundschaft vom Lande und auf seine BMW – die trocken und sicher eingelagert war, machte vieles einfacher und tröstete ihn.
Herbst 1942
Der Uhrmacher schreibt in sein Tagebuch, es wird immer schwerer, der Weltkrieg nimmt uns jede Hoffnung auf fröhliche Tage. Die Sonne wärmt
die Uhrmacherstube. Die Erinnerung an glückliche Tage wärmten sein Herz.Die Landgänge sind weniger geworden, weil der Tausch von Schmuck und Uhren gegen Lebensmittel ein Glücksfall war.
Er schreibt-1 Schinken – eine goldene Uhr.
Speck – ein Goldring.
Herbst 1944.
Er schreibt, die Wanduhren sind stehen geblieben. Die Zeit war zu schwer um das ticken und den Puls des Lebens zu ertragen. Die Pendel der Uhren kämpfen gegen die Blei-Gewichte, sie schlagen nicht mehr im Takt. Die Zeiger rücken nicht weiter, die Welt dreht sich nicht mehr.
Die Holz Gehäuse der Wanduhren halfen der Köchin beim kochen einer heißen Rübensuppe.
Nun berichtet er über einen Brief an ihm – vom Amt, in dem die Beschlagnahmung der Reifen seiner geliebten 750 BMW verkündet wurde.
Er hielt sich bereit, seine schwarze 750 BMW wurde hoch gestellt, die Reifen entfernt und für den Krieg mitgenommen. Nun hatte er sein Klettergerüst, aber die Kinder, die junge Männer wurden, waren nicht mehr da.